Darmbarriere stärken: Ernährungstipps bei ME/CFS
Für Menschen mit Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) spielt die Darmgesundheit häufig eine entscheidende Rolle bei der Symptomkontrolle. Neuere Forschung zeigt, dass ME/CFS-Patienten oft eine erhöhte Darmpermeabilität aufweisen – ein Zustand, bei dem die Darmschleimhaut durchlässiger wird und unerwünschte Substanzen in den Blutkreislauf gelangen können.
Die Unterstützung der Darmbarriere durch gezielte Ernährungsstrategien kann dazu beitragen, Entzündungen zu reduzieren, das Immungleichgewicht im Darm zu verbessern und die Nährstoffaufnahme zu fördern. In diesem Beitrag beleuchten wir die wissenschaftlichen Hintergründe der Darmpermeabilität bei ME/CFS und stellen Lebensmittel und Nährstoffe vor, die zur Stärkung der Darmschleimhaut beitragen können.
Leaky Gut: Ein Modewort für erhöhte Darmpermeabilität?
Wahrscheinlich haben Sie schon den Begriff ‚Leaky Gut‘ gehört, wenn es um eine erhöhte Darmpermeabilität geht. Auch wenn er eingängig ist, wird er häufig überstrapaziert – oft, um Nahrungsergänzungsmittel zu vermarkten – und erklärt selten die zugrunde liegende Wissenschaft. Der Ausdruck klingt dramatisch und vermittelt den irreführenden Eindruck, als gäbe es buchstäblich Löcher im Darm. Das ist schlicht nicht der Fall.
Unter Darmpermeabilität versteht man vielmehr, wie eng die Zellen, die die Darmwand auskleiden, durch sogenannte Tight-Junction-Proteine verbunden sind. Wenn diese Verbindungen lockerer werden, können kleine Moleküle wie bakterielle Endotoxine leichter passieren. Ein gewisses Maß an Permeabilität ist normal, doch chronische Störungen können zur Aktivierung des Immunsystems und zu Entzündungen beitragen.
Was bedeutet Darmpermeabilität?
Die Innenseite des Darms ist mit einer einzigen Zellschicht ausgekleidet, die durch sogenannte Tight-Junction-Proteine versiegelt wird. Diese Barriere spielt eine entscheidende Rolle dabei, zu steuern, was in den Blutkreislauf gelangt.
Ein gewisses Maß an Darmpermeabilität ist notwendig – so können Nährstoffe, Elektrolyte und Wasser vom Darm in den Körper übertreten. Wird diese Durchlässigkeit jedoch zu groß oder besteht sie über längere Zeit, können größere Moleküle und bakterielle Bestandteile wie Lipopolysaccharid (LPS) die Barriere überwinden. Dies kann das Immunsystem aktivieren und Entzündungen auslösen – Faktoren, die zu vielen Symptomen bei ME/CFS beitragen.
Die komplexe Struktur der Darmbarriere: Schlüssel zur Darmgesundheit bei ME/CFS
Man stellt sich die Darmbarriere leicht als eine dünne, empfindliche Membran vor – vielleicht nur eine einzige Zellschicht, die den Darm vom Blutkreislauf trennt. In Wirklichkeit ist der Darm jedoch eine komplexe, mehrschichtige Struktur, die darauf ausgelegt ist, den Körper zu schützen und gleichzeitig die Nährstoffaufnahme zu ermöglichen.
Der wichtigste Faktor für die Permeabilität ist die einzelne Schicht von Epithelzellen, doch diese ist keineswegs ungeschützt. Sie wird unterstützt durch:
Tight Junctions – spezialisierte Proteine, die die Zwischenräume zwischen den Epithelzellen abdichten und regulieren, was hindurchgelangt.
Eine Schleimschicht – bedeckt die Zellen und bildet eine physische Barriere gegen Bakterien und große Moleküle.
Immunzellen im darmassoziierten Lymphgewebe (GALT) – überwachen ständig, was durchtritt, und reagieren bei Bedarf auf schädliche Stoffe.
Darunterliegende Blut- und Lymphgefäße – nehmen Nährstoffe auf, können aber auch bakterielle Komponenten wie LPS aufnehmen, wenn die Barriere gestört ist.
Wenn die Darmpermeabilität zunimmt, können Moleküle wie LPS (Lipopolysaccharide) von Darmbakterien durch gelockerte Tight Junctions gelangen. Diese Endotoxine treten nicht sofort in den Blutkreislauf über – zunächst durchqueren sie das darunterliegende Gewebe und können dort aufgenommen werden von:
kleinen Blutgefäßen (Kapillaren), die zur Pfortader und zur Leber führen,
Lymphgefäßen, die ins Lymphsystem drainieren und schließlich in den Blutkreislauf münden.
Dieser Prozess aktiviert Immunreaktionen und kann systemische Entzündungen auslösen – ein Phänomen, das bei ME/CFS häufig beobachtet wird.
Tight Junctions: Schlüsselproteine für eine stabile Darmbarriere
Tight Junctions sind Proteinkomplexe, die sich zwischen den Epithelzellen befinden, die den Darm (und andere Gewebe) auskleiden. Ihre Hauptaufgabe ist es, den Raum zwischen den Zellen abzudichten und den Durchtritt von Molekülen zwischen den Zellen zu regulieren.
Man kann sich die Darmschleimhaut wie eine Ziegelwand vorstellen: Jede Zelle ist ein Ziegelstein, und die Tight Junctions sind der Mörtel, der die Steine fest zusammenhält. Dieser Mörtel sorgt dafür, dass nur Teilchen der richtigen Größe – wie Nährstoffe – durch winzige Spalten gelangen können, während größere, potenziell schädliche Substanzen draußen bleiben.
Wie funktionieren Tight Junctions in der Darmbarriere?
Tight Junctions sind passive ‚Torwächter‘ – sie benötigen kein ATP (zelluläre Energie), um zu funktionieren. Ihre Aufgabe wird jedoch durch benachbarte Proteine unterstützt:
Strukturproteine wie Claudine, Occludin und Zonula-occludens-Proteine (ZO-Proteine), die die physische Barriere bilden.
Signalwege und Wechselwirkungen mit dem Zytoskelett, die die Tight Junctions je nach Signalen – etwa Zytokinen, Stress oder Entzündungsmediatoren – dynamisch öffnen oder enger schließen können.
Studien zeigen: Darmpermeabilität ist bei ME/CFS oft erhöht
Mehrere Studien haben gezeigt, dass Menschen mit ME/CFS eine erhöhte Darmpermeabilität aufweisen. Konkret wurde eine Zunahme der Serumspiegel von Immunglobulinen (IgA und IgM) nachgewiesen, die gegen bakterielle Endotoxine – sogenannte Lipopolysaccharide (LPS) – gerichtet sind. Dies deutet darauf hin, dass LPS, produziert von gramnegativen Darmbakterien, die Darmbarriere durchdringt und eine Immunantwort auslöst (Maes, 2007).
Wichtige Nährstoffe und Lebensmittel zur Unterstützung der Darmbarriere
1. Zink
Zink spielt eine entscheidende Rolle für die strukturelle Stabilität der Tight Junctions. Ein Mangel an Zink wird mit einer erhöhten Darmpermeabilität in Verbindung gebracht. Eine zusätzliche Supplementierung über ein Multivitaminpräparat hinaus wird jedoch nicht empfohlen, da sie das Gleichgewicht wichtiger Mineralstoffe stören kann. Besser ist es, den Fokus auf zinkreiche Lebensmittel zu legen.
Lebensmittelquellen: Kürbiskerne, Austern, Hülsenfrüchte, Rindfleisch
2. Glutamin
Glutamin selbst ‚zieht‘ die Tight Junctions nicht direkt zusammen, liefert aber die notwendige Energie und Bausteine für die Zellen, die die Barriere aufrechterhalten. Glutaminreiche Lebensmittel unterstützen die Reparatur und den Erhalt der Darmzellen und verbessern so indirekt die Funktion der Tight Junctions und reduzieren mit der Zeit die Permeabilität.
Mehrere Studien zeigen, dass Glutamin die Darmpermeabilität in bestimmten Situationen verringern kann – zum Beispiel nach Verletzungen, Infektionen oder Stress – indem es die Gesundheit der Epithelzellen verbessert und die Bildung von Tight-Junction-Proteinen fördert. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Glutamin die Expression von Proteinen wie Claudin-1 und Occludin in gestresstem oder geschädigtem Darmgewebe erhöht (Rao, 2012).
Lebensmittelquellen: Huhn, Fisch, Kohl, Spinat
Polyphenole, die die Darmbarriere stärken
Urolithin A: Ein Postbiotikum zum Schutz der Darmbarriere
Eine besonders vielversprechende Verbindung für die Darmgesundheit ist Urolithin A. Es kommt nicht direkt in Lebensmitteln vor, sondern wird von nützlichen Darmbakterien gebildet, wenn sie bestimmte Polyphenole – vor allem Ellagitannine und Ellagsäure – verstoffwechseln.
Forschungen zeigen, dass Urolithin A die Funktion der Tight Junctions verbessern und Entzündungen im Darm reduzieren kann. Seine Fähigkeit, die Integrität der Darmbarriere zu erhalten, ist so überzeugend, dass Pharmaunternehmen inzwischen Medikamente entwickeln, die Urolithin A mit NSAR kombinieren. Ziel ist es, die durch NSAR verursachte Darmpermeabilität zu verringern und die Barrierefunktion zu schützen (Korczak, 2023).
Um den Urolithin-A-Spiegel auf natürliche Weise zu erhöhen, sollten regelmäßig polyphenolreiche Lebensmittel gegessen werden, die als Vorstufen dienen:
Walnüsse
Mandeln
Beeren (insbesondere Himbeeren, Erdbeeren, Blaubeeren)
Granatäpfel
Diese Lebensmittel liefern die Ausgangsstoffe, die Ihr Darmmikrobiom benötigt, um Urolithin A zu bilden. Ein vielfältiges und ausgewogenes Mikrobiom erhöht zusätzlich die Wahrscheinlichkeit, diese wertvolle Verbindung zu produzieren.
Quercetin: Polyphenol für eine stabile Darmbarriere
Ein weiteres Polyphenol, das die Darmbarriere unterstützt, ist Quercetin. Dieses Flavonoid konnte in Studien zeigen, dass es:
Wichtige Tight-Junction-Proteine wie Claudin-4, Occludin und ZO-1 hochreguliert.
Entzündungen senkt, insbesondere durch die Reduktion proinflammatorischer Zytokine wie TNF-α und IL-6, die bekanntermaßen Tight Junctions stören (Uyanga, 2021).
Die besten Lebensmittelquellen für Quercetin sind:
Zwiebeln (besonders rote Zwiebeln)
Äpfel
Beeren (z. B. Holunderbeeren, Cranberries)
Grünkohl
Brokkoli
Grüner Tee
Kapern (eine der reichhaltigsten Quellen)
Schlussgedanken: Darmbarriere stärken und Darmgesundheit bei ME/CFS
Langfristige Ernährungsstrategien statt Schlagworte wie ‚Leaky Gut‘ oder ein übermäßiger Fokus auf Nahrungsergänzungsmittel sind entscheidend, um die Darmbarriere und die allgemeine Darmgesundheit zu unterstützen. Der Vorrang liegt auf nährstoffreichen Lebensmitteln – etwa zinkhaltigen Samen, glutaminreichen Gemüsesorten und polyphenolreichen Lebensmitteln wie Walnüssen, Beeren, Zwiebeln und Äpfeln. So erhalten Körper und Mikrobiom die Bausteine, die sie benötigen, um die Integrität der Tight Junctions auf natürliche Weise zu erhalten.
Referenzen
Maes M, Mihaylova I, Leunis JC. Increased serum IgA and IgM against LPS of enterobacteria in chronic fatigue syndrome (CFS): indication for the involvement of gram-negative enterobacteria in the etiology of CFS and for the presence of an increased gut-intestinal permeability. J Affect Disord. 2007;99(1-3):237-240. doi:10.1016/j.jad.2006.08.021
Rao R, Samak G. Role of Glutamine in Protection of Intestinal Epithelial Tight Junctions. J Epithel Biol Pharmacol. 2012;5(Suppl 1-M7):47-54. doi:10.2174/1875044301205010047
Korczak M, Roszkowski P, Skowrońska W, et al. Urolithin A conjugation with NSAIDs inhibits its glucuronidation and maintains improvement of Caco-2 monolayers' barrier function. Biomed Pharmacother. 2023;169:115932. doi:10.1016/j.biopha.2023.115932
Uyanga VA, Amevor FK, Liu M, Cui Z, Zhao X, Lin H. Potential Implications of Citrulline and Quercetin on Gut Functioning of Monogastric Animals and Humans: A Comprehensive Review. Nutrients. 2021;13(11):3782. Published 2021 Oct 25. doi:10.3390/nu13113782