Kalium-Mangel bei Long-COVID & ME/CFS
Menschen mit POTS oder anderen Formen von orthostatischer Intoleranz hören immer wieder denselben Ratschlag: „Iss mehr Salz.“ Und tatsächlich kann zusätzliches Natrium helfen, das Blutvolumen zu erhöhen und den Blutdruck zu stabilisieren – eine wichtige Strategie, um Schwindel und Herzrasen in den Griff zu bekommen.
Doch es gibt eine versteckte Kehrseite: Wenn die Salzaufnahme steigt, aber die Kaliumzufuhr niedrig bleibt, kann dieses Ungleichgewicht die Symptome langfristig verschlimmern. Das gilt besonders für Menschen mit Long COVID oder ME/CFS (chronischem Fatigue-Syndrom), die häufig ohnehin schon niedrige Kaliumwerte haben.
Was ist Hypokaliämie?
Hypokaliämie ist der medizinische Begriff für einen Kaliummangel im Blut – konkret, wenn der Kaliumspiegel unter 3,5 mmol/L liegt.
Kalium ist ein essenzieller Mineralstoff, der eine zentrale Rolle spielt bei:
Muskelkontraktion
Signalübertragung in den Nerven
Gesundem Herzrhythmus
Wenn der Kaliumspiegel zu niedrig ist, können folgende Symptome auftreten:
Muskelschwäche oder Muskelkrämpfe
Zunehmende Erschöpfung
Herzstolpern oder unregelmäßiger Herzschlag
Verschlimmerung von POTS oder orthostatischer Intoleranz
Warum kann der Kaliumspiegel bei Long COVID niedrig bleiben?
Die meiste Forschung zur Hypokaliämie stammt aus der akuten COVID-19-Phase, in der niedrige Kaliumwerte mit schwereren Krankheitsverläufen und schlechteren Prognosen verbunden sind. Neue Erkenntnisse zeigen jedoch, dass manche Betroffene auch lange nach der eigentlichen Infektion weiterhin mit niedrigen Kaliumwerten kämpfen.
1. Nierenbeteiligung: SARS-CoV-2 kann die Nierentubuli schädigen und so eine proximale Tubulopathie oder sogar ein post-COVID-Fanconi-Syndrom verursachen. Diese Erkrankungen führen dazu, dass die Nieren Kalium „verlieren“, indem sie es vermehrt über den Urin ausscheiden, anstatt es zurückzuhalten (Werion et al., 2020).
2. Dokumentierte Langzeitfälle: Ein Fallbericht aus dem Jahr 2021 beschreibt eine Patientin, die über 5 Monate nach der Genesung weiterhin unter Hypokaliämie und Hypomagnesiämie litt – vermutlich aufgrund anhaltender Kaliumverluste über die Nieren (Alnafiey, 2021).
3. Hormonelles Ungleichgewicht: Das Virus kann das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) stören. Dieses Ungleichgewicht kann den Aldosteronspiegel erhöhen, was wiederum die Nieren anregt, Kalium vermehrt auszuscheiden. Bei einigen Betroffenen kann diese RAAS-Dysfunktion auch über die akute Erkrankung hinaus bestehen bleiben.
Fazit:
Diese Faktoren erklären, warum der Kaliumspiegel bei bestimmten Long-COVID-Patient*innen niedrig bleiben kann – selbst wenn versucht wird, den Mangel über Ernährung oder Nahrungsergänzungsmittel auszugleichen.
Niedriger Kaliumspiegel bei chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS)
Forschungen zeigen, dass das Kalium-Gleichgewicht bei ME/CFS (chronischem Fatigue-Syndrom) gestört sein kann – mit wichtigen Folgen für Energie, Muskelfunktion und Fatigue.
Bereits 1996 stellte eine Studie fest, dass Menschen mit ME/CFS etwa 10 % weniger Gesamtkalium im Körper hatten. Diese Reduktion war stark mit der Schwere der Fatigue verknüpft (Burnet et al., 1996).
Neuere Forschungsergebnisse bestätigen diese Befunde: Auch die Kaliumwerte im Blut waren bei Personen mit ME/CFS signifikant niedriger als bei gesunden Kontrollgruppen (Baklund et al., 2021).
Eine weitere Studie fand heraus, dass der Natriumgehalt in den Muskeln von ME/CFS-Betroffenen erhöht war (Petter et al., 2022). Da Natrium und Kalium in Muskelzellen in einem fein regulierten Gleichgewicht stehen, deutet ein hoher Natriumwert indirekt auf niedriges Muskelkalium hin.
Warum das wichtig ist:
Dieses Ungleichgewicht kann die Muskelkontraktion, die Signalübertragung in den Nerven und die Energieproduktion in den Zellen stören – alles zentrale Probleme bei ME/CFS.
Das vergessene Gleichgewicht: Natrium vs. Kalium
Natrium und Kalium sind wie zwei Seiten einer Wippe. Jede Zelle im Körper nutzt die sogenannte Na⁺/K⁺-Pumpe, um ein gesundes Gleichgewicht aufrechtzuerhalten:
Natrium (Na⁺) wird aus der Zelle herausgepumpt.
Kalium (K⁺) wird in die Zelle hineingepumpt.
Wenn die Natriumzufuhr stark ansteigt, während Kalium niedrig bleibt, kann diese Pumpe nicht mehr richtig arbeiten.
Die Folgen:
Muskeln und Nerven werden übererregt.
Blutgefäße verengen sich, was den Blutdruck erhöht.
Kalium wird vermehrt über den Urin ausgeschieden, was das Ungleichgewicht weiter verschärft.
Für Menschen mit POTS oder ME/CFS kann dieses Ungleichgewicht Herzstolpern, Schwindel und Fatigue verstärken – selbst dann, wenn zusätzliches Natrium kurzfristig die orthostatischen Symptome verbessert.
Das ideale Natrium-Kalium-Verhältnis bei POTS und Long COVID
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Institute of Medicine empfehlen folgende Tagesmengen:
Natrium: ca. 1.500–2.300 mg/Tag
Kalium: ca. 4.700 mg/Tag
Das entspricht einem Natrium-Kalium-Verhältnis von etwa 1 : 2 oder besser – das heißt, man sollte mindestens doppelt so viel Kalium wie Natrium aufnehmen.
Das Problem:
Die meisten modernen Ernährungsweisen sind umgekehrt – viel Natrium, wenig Kalium – mit typischen Verhältnissen von 16:1 zugunsten von Natrium.
Für Menschen, die aufgrund von POTS bewusst eine salzreiche Ernährung einhalten, kann dieses Ungleichgewicht extrem werden, wenn nicht gezielt auf eine ausreichende Kaliumzufuhr geachtet wird.
Das richtige Gleichgewicht ist entscheidend, um Herzrhythmusstörungen, Schwindel und Fatigue nicht weiter zu verstärken.
Die besten kaliumreichen Lebensmittel für die postvirale Genesung
Vollwertige Lebensmittel sind der sicherste und effektivste Weg, um den Kaliumspiegel wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die Einnahme von Kaliumpräparaten wird in der Regel nicht empfohlen, da sie das Natrium-Kalium-Verhältnis stören können. Hier sind einige kaliumreiche Lebensmittel, auf die du dich konzentrieren solltest:
Obst
Bananen – 422 mg pro mittelgroße Banane
Avocados – 690 mg pro Tasse
Orangen – 333 mg pro große Orange
Cantaloupe-Melone – 368 mg pro Tasse
Aprikosen – 427 mg pro Tasse
Gemüse
Süßkartoffeln – 542 mg pro mittelgroße Knolle
Spinat – 419 mg pro Tasse (gekocht)
Weiße Kartoffeln – 610 mg pro mittelgroße Kartoffel mit Schale
Tomaten – 400 mg pro Tasse
Rosenkohl – 342 mg pro Tasse
Weitere gute Quellen
Weiße Bohnen – 595 mg pro Tasse
Lachs – 534 mg pro 100 g
Naturjoghurt – 380 mg pro Tasse
Kokoswasser – 480 mg pro Tasse
Tipp:
Versuche, täglich verschiedene kaliumreiche Lebensmittel in deine Ernährung einzubauen. Besonders bei Long COVID, ME/CFS oder POTS kann dies helfen, Schwindel, Müdigkeit und Herzstolpern zu verringern und den Kreislauf zu stabilisieren.
Elektrolytprodukte: Worauf du achten solltest
Viele Elektrolyt-Pulver und Sportgetränke sind vor allem auf Athlet*innen ausgelegt, die stark schwitzen. Diese Produkte enthalten oft 300–500 mg Natrium, aber sehr wenig Kalium.
Für Menschen mit POTS oder orthostatischer Intoleranz kann dies das Natrium-Kalium-Gleichgewicht noch weiter verschieben – und Symptome wie Schwindel, Herzstolpern und Fatigue langfristig verschlimmern.
Darauf solltest du bei der Auswahl achten:
Mindestens doppelt so viel Kalium wie Natrium – oder mindestens ein 1:2 oder 1:3 -Verhältnis, wenn du deine Salzaufnahme wegen POTS bewusst erhöhst.
Kokoswasser kann eine natürliche Alternative sein: Es enthält mäßig Natrium, aber einen guten Kaliumgehalt, um das Gleichgewicht zu stabilisieren.
Tipp:
Überprüfe die Nährwertangaben auf der Verpackung genau. Ein Produkt mit einem ausgeglichenen Verhältnis kann helfen, den Kreislauf zu stabilisieren und Symptome zu lindern, ohne das Ungleichgewicht zwischen Natrium und Kalium weiter zu verstärken.
Wichtige Erkenntnisse
Hypokaliämie (niedriges Kalium) ist häufig bei Long COVID und ME/CFS, besonders bei Menschen mit POTS oder einer salzreichen Ernährung.
Anhaltend niedrige Kaliumwerte können auf Nierenschäden, ein Ungleichgewicht im RAAS-System oder eine postvirale Schädigung der Nierentubuli zurückzuführen sein.
Viele Betroffene konzentrieren sich stark auf eine erhöhte Natriumzufuhr, doch Kalium muss gleichzeitig gesteigert werden, um das Gleichgewicht zu halten und eine Verschlimmerung der Symptome zu verhindern.
Zielwert: mindestens doppelt so viel Kalium wie Natrium über die Ernährung und sorgfältig ausgewählte Elektrolytprodukte.
Beste Kaliumquellen: vollwertige Lebensmittel wie Kartoffeln, Avocados, Bananen, Spinat, Bohnen und Kokoswasser.
Referenzen
Alnafiey MO, Alangari AM, Alarifi AM, Abushara A. Persistent Hypokalemia post SARS-coV-2 infection, is it a life-long complication? Case report. Ann Med Surg (Lond). 2021;62:358-361. doi:10.1016/j.amsu.2021.01.049
Werion A, Belkhir L, Perrot M, et al. SARS-CoV-2 causes a specific dysfunction of the kidney proximal tubule. Kidney Int. 2020;98(5):1296-1307. doi:10.1016/j.kint.2020.07.019
Burnet RB, Yeap BB, Chatterton BE, Gaffney RD. Chronic fatigue syndrome: is total body potassium important?. Med J Aust. 1996;164(6):384. doi:10.5694/j.1326-5377.1996.tb122076.x
Baklund IH, Dammen T, Moum TÅ, et al. Evaluating Routine Blood Tests According to Clinical Symptoms and Diagnostic Criteria in Individuals with Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome. J Clin Med. 2021;10(14):3105. Published 2021 Jul 14. doi:10.3390/jcm10143105